Montag, 18. Januar 2010

Essen 15: Panierte Champignons

Hier sind wir wieder, inzwischen haben wir uns beschäftigt mit Weihnachten, der Zeit und Parmenides, also gute Wochen verbracht.

Bereits letzte Woche geplant aber nicht umgesetzt, Nahrung mit folgenden Zutaten:

Champignons, viele und eher kleine
Salz
Ei
Semmelbrösel
Mehl
Fett (oder Öl, ist egal)
Klopapier

Vielleicht ahnt es schon jemand, heute wird paniert!
Ich wurde davor gewarnt: „Das wird ein rieee-sen Dreck werden“, wurde mir gesagt, aber wir stehen ja schließlich auf Dreck.

Vorbereitend einige Champignons waschen und große Exemplare zerteilen. Dann Mehl in eine Schüssel geben, ein Ei aufschlagen und in eine andere Schüssel hinein, Semmelbrösel in eine dritte Schüssel. Fett in einer kleineren Pfanne heiß machen. Ich habe hier kein Fett, deswegen das Öl, mit dem sonst der Blumosus eingesprüht wird in die Pfanne (ja, die Hausherrin setzt auf Biogift: Rapsöl und Geschirrspülmittel. Geschirrspülmittel ist zwar nicht ganz so bio aber das Rapsöl ist es). „Drei Finger hoch Fett“, wurde mir gesagt, so dass die Champignons gut schwimmen darin. Ist es irgendwie grauslich, sich die in fett schwimmenden Champignons vorzustellen?

Das Öl langsam erhitzen, es muss langsam warm werden und gar nie brennheiß sein, weil sonst alles anbrennt, das wollen wir nicht. Sobald es ein wenig zischelt, wenn man Brösel hineinbröselt folgende Schritte nach Belieben oft ausführen:

* Champignon in Mehl wälzen
* Eingemehltes Champignon in Ei einschleimen
* Gemehltes und beeites Champignon in die Semmelbrösel tauchen

Aufpassen: Nicht zu sehr herumdrücken, am schönsten werden die Champignons, wenn man nicht darauf herumtapscht (auch wenn man mit den Fingern lustig daran kleben bleibt).

* Das klebrige Champignon ins heiße (und nicht zu-heiße) Öl plumpsen lassen.

Wenn ein Champignon fertig ist (eine empirische Überprüfung, aber man kann den Sinnesdaten hier idR vertrauen), hinausheben und auf das Klopapier legen. Das ist wichtig, weil die sonst total fett sind und das schon irgendwie grauslich ist. Nicht vergessen von Zeit zu Zeit einen Blick in den Topf werfen, weil sonst die Champignons total verbrennen. Ist mir zum Glück nicht passiert, kann ich mir aber gut vorstellen. Und apropos Zeit: Joseph Weizenbaum hat in einem Vortrag Worte seiner Tocher Pim wiedergegeben, die gesagt hat „Time is natures way of seeing to it that not everything happens all at once“. Zeit sei also etwas, das Sorge trägt dafür, dass nicht alles in ungeordnetes Durcheinander zusammengeworfen wird.
Sobald man Ereignisse in einer Reihenfolge anordnet – noch ohne Abhängigkeiten zu bestimmen, lediglich ein Positionieren des Ereignisses A vor einem anderen Ereignis B – muss auf ein Konzept wie Zeit zurückgegriffen werden. Auch bei anderen Konzepten – beispielsweise „Raum“ – muss früher oder später eine zeitliche Abfolge verwendet werden. Rein etymologisch liegt der Bedeutungsursprung von Zeit in der Bedeutung der Wörter (zer)teilen, zerschneiden, zerreißen, sich erstrecken. Von ihrer ursprünglichen Bedeutung ausgehend, ließe sich Zeit somit auch als „Abschnitt oder Strecke“ verstehen, d.h. als ein eigentlich räumlicher Begriff. In diesem Sinn können der Zeit auch Adjektive wie lang oder kurz zugeordnet werden und man kann Zeit mit räumlichen Begriffen koppeln: Zeitraum, Zeitfenster, Zeitlücke, etc. Bereits Aristoteles gibt im Buch ? der Metaphysik eine metrische Beschreibung der Worte früher und später an: „[…] Andere Dinge sind der Zeit nach früher. […] Einige nämlich dadurch, daß sie vom Jetzt weiter entfernt sind, wie etwa wie vergangenen; früher nämlich ist der Trojanische Krieg als der Persische, weil er vom Jetzt weiter entfernt ist.“. Ohne die metrische Beziehung zum Jetzt ließen sich Ereignisse nicht reihen, ohne die Zerstückelung und das Neu-Anordnen, wäre alles ein zusammengeworfenes Durcheinander.

Das zeitgereihte Eintreten von Ereignissen, die dadurch also geordnet und greifbar sind, betrifft aber noch mehr als alleine ihre Abfolge. Bestimmte Ereignisse können immer wieder beobachtet werden, sie scheinen wiederzukehren, wie etwa der Einbruch der Nacht, Mondfinsternissen oder Hunger, Müdigkeit, Durst, etc. Manche Ereignisse treten nur dann ein, wenn ihnen bestimmte andere Ereignisse vorausgegangen sind, etwa donnert es nur dann, wenn davor ein Blitz am Himmel zu sehen war, mein Telefon klingelt dann, wenn ich angerufen werde und ich sehe nichts, wenn ich meine Augen schließe.

Kausale Beziehungen zwischen zwei Ereignissen können von Menschen – wie von keinem Tier – über sehr lange Zeiträume hinweg bestimmt werden: B tritt ein, weil A passiert ist; A verursacht B.
Die Annahme, dass es sich bei diesen Kausalbeziehungen um eine logische Abhängigkeit handelt liegt nahe. Ihnen eine logische Notwendigkeit zuzusprechen wäre jedoch ein Schritt zuviel. Die Beziehungen bestehen nicht aus logischer Notwendigkeit, sondern alleine aus Erfahrung und Beobachtung. Dass auch logische Gesetze für die beobachteten Kausalerfahrungen anwendbar sind, sagt uns die Erfahrung, aber man gewinnt aus ihnen keine Gewissheit.
Nichts sehen kann ich beispielsweise auch, wenn ich erblinde oder von Dunkelheit umgeben bin und ich kann angerufen werden, mein Telefon klingelt aber nicht (weil es vielleicht kaputt ist oder jemand den Klingelton auf stumm geschalten hat).
Auch Blitz und Donner verhalten sich nicht anders: Die „Natur“, für die man glaubt mit den Naturgesetzen eine universell geltende Ordnung geschaffen zu haben, kennen wir nur aus unserer Erfahrung. Was würde man tun, wenn man einen Blitz sieht und keinen Donner hört? Die Annahme „mit der Natur stimmt etwas nicht“ ist falsch: Mit den Naturgesetzen stimmte etwas nicht.

Damit schmälert sich zwar der Anspruch auf logische Notwendigkeit der alltäglichen Kausalbeziehungen, nicht jedoch ihr Wert: Man lebt ganz gut mit der Kausalerfahrung. Sich aus ihr herauszudenken ist sogar schier unmöglich, benötige es die Annahme von Grundlosigkeit. Selbst den kausalen Ursprung zu erfinden wird der Grundlosigkeit vorgezogen.
So wie die Vorsokratiker nach den überlieferten Fragmenten, auf der Suche nach einer Ursubstanz waren, aus der heraus alles entstanden sei, sucht Aristoteles nach einem Urgrund, von dem aus alles verursacht wurde. Zeit entsteht für ihn durch die vom Urgrund ausgehende Bewegung und lässt sich als Abfolge von kausaler Veränderung verstehen.
Aus dem Prinzip von Ursache und Wirkung heraus, muss der Urgrund greifbar sein, er liegt für Aristoteles nicht in der Unendlichkeit: „Denn es kann weder das eine aus dem anderen als aus seinem Stoff ins Unbegrenzte fortschreitend hervorgehen […], noch kann das Woher des Anfangs der Bewegung eine unbegrenzte Reihe ausmachen.“

Aus dem konsequenten Kausaldenken, das von der Gegenwart aus in die Vergangenheit führt, lassen sich zwei Konzepte der zeitlichen Abfolge bilden, die zwar umfassend verstanden werden können, in ihrem wesentlichen Kern aber eine Aussage machen darüber, was man für der Zukunft prophezeien kann. Denn wenn man Kausalketten rückwärts in die Vergangenheit bestimmen kann, müssen sie sich auch vorwärts in die Zukunft bilden lassen:


  1. Die Zukunft ist vorbestimmt, alles ist deterministisch.

    Sowohl eine religiöse (Schicksal ist von Gott vollständig vorherbestimmt) als auch eine physikalische Interpretation (z.B. durch das das Gedankenexperiment des Laplace’schen Dämons) lassen sich auf dieses deterministische Weltbild hinführen.

  2. Die Zukunft ist ungewiss.

    Die Ereignisse hängen vom unberechenbaren Tun der Menschen ab.


Bei den Champignons ist eher a) der Fall. Weil so unberechenbar ist der Herd sicher nicht. Ich habe mir etwa die halbe Downward Spiral der Nine Inch Nails angehört, habe die fetttriefenden Champignons vom Klopapierteller genommen (sollte wer Küchenrolle haben: das geht auch) und auf einen neuen Teller umgesiedelt, Teller auf den Tisch, Gabel und Messer, dann essen: KÖSTLICH!

Leider fehlt mir irgendeinen Beilage, ich hab nur Plastiksalat gehabt, besser als nichts, aber nicht so wirklich passend. Nett wäre Sauce Tartare, ich habe aber nur Ketchup und Liptauer, beides ungeeignet.


ÄRGERLICHERWEISE die richtige Kamera zwar mit, aber keine Speicherkarte, deswegen nur ein Handyfoto, auf dem die köstlichen Champignons nicht so extraordinär aussehen, wie sie in Wirklichkeit ausgesehen haben.
Auf alle Fälle hat die Panier ziemlich hübsch ausgesehen. Weil ich trotzdem auf den Champignons herumgetapscht habe, waren ein paar von ihnen außer Form, das macht (mir) aber nichts.

Der Dreck ist mäßig schlimm, am Herd sind ein paar Fetttropfen von der Pfanne mit dem langsam kalt werdenden Fett hin zum Teller mit durchsichtig gewordenen Klopapier, Bemerkung: Distanz zueinander beim nächsten Mal verringern.
Die übrigen Brösel und das übrige Mehl ist mit schleimigen Eiresten verklebt, glaube nicht dass man das noch für irgendwas verwenden kann, ist aber auch nicht mehr so viel in den Töpfen.

Beim Essen die andere Hälfte der Downward Spiral gehört, das war nicht so ganz passend, aber ich hatte schließlich auch keine Sauce Tartare.